Koppelung der Höhe der Abfindung an Kinderfreibetrag ist diskriminierend

Anmerkung zu: Hessisches Landesarbeitsgericht, Urteil vom 28. Oktober 2020, Az.: 18 Sa 22/20

Worum ging es?

Die Arbeitgeberin hatte mit ihrem Gesamtbetriebsrat ein Freiwilligenprogramm und einen Sozialplan abgeschlossen. Der Sozialplan regelte neben einer Grund- Abfindung unter anderem auch eine Erhöhung der Abfindung „um 5.000 € pro Kind, das am Stichtag (Abschluss des Sozialplans) auf der Lohnsteuerkarte eingetragen ist“. 

Im Rahmen dieses Freiwilligenprogramms schied die Arbeitnehmerin mit einem Aufhebungsvertrag aus. Sie erhielt hierfür lediglich die Grund- Abfindung.

Die verheiratete Arbeitnehmerin hat zwei minderjährige Kinder und arbeitete in Teilzeit. Ihr Gehalt wurde nach der Lohnsteuerklasse V besteuert. Nach den §§ 38b Abs. 2, 39 Abs. 4 Nr. 2 EStG werden Kinderfreibeträge aber nur bei den Steuerklassen I bis IV berücksichtigt.

Die Arbeitnehmerin hat im Rahmen ihrer Klage geltend gemacht, dass die Regelung des Sozialplanes sie wegen ihres Geschlechts mittelbar benachteiligte und ihr daher die erhöhte Abfindung zustehe. Das Arbeitsgericht Darmstadt ist dem nicht gefolgt und hat die Klage auf Differenzzahlung (erhöhte Abfindung) abgewiesen. Dagegen wehrte sich die Arbeitnehmerin mit ihrer Berufung beim Hessischen Landesarbeitsgericht. 

Wie hat das Hessische Landesarbeitsgericht entschieden?

Das Hessische Landesarbeitsgericht gab der Arbeitnehmerin recht und sprach ihr die erhöhte Abfindung zu.

Nach Auffassung des Hessischen Landesarbeitsgerichts stellt die Abhängigkeit des Kinderzuschlages bei der Abfindung von der Berücksichtigung des Kindes im Rahmen der Lohnsteuerabzugsmerkmale eine mittelbare Benachteiligung der Arbeitnehmerin wegen ihres Geschlechts i.S.v. § 3 Abs. 2 AGG dar. Es ist nämlich – worauf das Gericht ausdrücklich hingewiesen hat – statistisch belegt, dass bei der Steuerklasse V der Anteil der verheirateten Frauen 89 % und der Anteil der verheiraten Männer 11 % beträgt. Eine sachliche Rechtfertigung für diese mittelbare Benachteiligung gab es nach Ansicht des Gerichts nicht. Insbesondere sei die Ungleichbehandlung nicht aus Gründen der „Praktikabilität“ und/oder zur „Kalkulation des Sozialplanvolumens“ gerechtfertigt. Das Mittel zur Erreichung des Ziels war nämlich nicht angemessen und erforderlich. Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung hat das LAG festgestellt, dass der Nachweis, dass eine Unterhaltspflicht gegenüber einem oder mehreren Kindern besteht, auch auf andere Weise geführt werden kann als ausschließlich über das Lohnsteuerabzugsmerkmal „Kinderfreibetrag“. Das LAG hat dabei darauf hingewiesen, dass im Regelfall der Nachweis über den Anspruch auf Kindergeld eines der beiden miteinander verheirateten Elternteile ausreicht und abschließend betont, dass das Ziel des Unternehmens nur solche Beschäftigte zusätzlich mit einer Abfindung zu entschädigen, deren Unterhaltspflichten tatsächlich feststellbar sind, nicht für die Personen erreicht wurde, welche die Lohnsteuerklasse V gewählt hatten. Damit sei von vorneherein eine Gruppe von Beschäftigten für die erhöhte Abfindnug ausgeschlossen worden, die aber am Stichtag tatsächlich unterhaltspflichtig waren, bei denen dies aber wegen der lohnsteuerrechtlichen Behandlung nicht ersichtlich ist.

Wie ist die Entscheidung einzuordnen?

Das Urteil ist sehr zu begrüßen. Das Hessische Landesarbeitsgericht hat der weit verbreiteten diskriminierenden Praxis in Sozialplänen, eine Abfindung für Beschäftigte mit Kindern nur zu erhöhen, wenn die Unterhaltspflicht aus einem Kinderfreibetrag als Lohnsteuerabzugsmerkmal ersichtlich wird, einen Riegel vorgeschoben. 

Die Entscheidung zeigt auf, dass das AGG Arbeitnehmerinnen einen umfassenden Schutz auch vor mittelbaren Diskriminierungen bietet und es sich für Arbeitnehmerinnen lohnt, solche und ähnliche Regelungen genauer unter die Lupe zu nehmen. Das Gericht hat richtig herausgearbeitet, dass Sozialpläne, wie andere Betriebsvereinbarungen auch, der gerichtlichen Rechtmäßigkeitskontrolle unterliegen und somit einer Verhältnismäßigkeitsprüfung zu unterziehen sind.

Zum gleichen Ergebnis wie das Hessische Landesarbeitsgericht ist bereits das Landesarbeitsgericht Nürnberg im Jahr 2015 gekommen (Urteil vom 03. November 2015 – 7 Sa 655/14). Beide Entscheidungen stellen sich gegen ein Urteil des Bundesarbeitsgerichts aus dem Jahr 1997 (Urteil vom 12.3.1997 – 10 AZR 648/96), das jedoch zu einer früheren Rechtslage im EStG ergangen ist.

Das letzte Wort ist daher noch nicht gesprochen. 

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