Anmerkerung zu: Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 11.09.2020 – 9 Sa 584/20
Worum ging es in der Entscheidung?
Der Arbeitnehmer war seit 1990, zuletzt als Vertriebsleiter, bei der Arbeitgeberin beschäftigt. Im März 2019 beauftragte die Arbeitgeberin eine Detektei mit der Überwachung des Arbeitnehmers. Der Arbeitnehmer und seine Ehefrau wurden sodann über mehrere Tage hinweg systematisch durch mehrere Mitarbeiter der Detektei beobachtet und fotografiert. Das Ergebnis dieser Überwachungsmaßnahme war schließlich, dass der Arbeitnehmer in Reisekostenabrechnungen falsche Angaben zu seinen Arbeits- bzw. Reisezeiten und zu den abgerechneten Spesen gemacht hatte. Auf Grundlage der durch die Observation der Detektive gewonnenen Erkenntnisse, sprach die Arbeitgeberin sodann eine fristlose, hilfsweise ordentliche Kündigung als Tat- und Verdachtskündigung aus. Sie begründete diese mit einem mehrfachen Arbeitszeit- und Spesenabrechnungsbetrug.
Der Arbeitnehmer erhob sodann Kündigungsschutzklage und beantragte zudem die Auflösung seines Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer Abfindung wegen Unzumutbarkeit der Fortführung des Arbeitsverhältnisses. Im Wege der Widerklage begehrte die Arbeitgeberin die Erstattung der Detektivkosten durch den Arbeitnehmer.
Das Arbeitsgericht Berlin hat die Kündigungsschutzklage des Arbeitnehmers in der ersten Instanz abgewiesen und die fristlose Kündigung für wirksam erklärt. Die Widerklage hat es abgewiesen, da ein Erstattungsanspruch schon deshalb nicht bestehe, weil die Observierung mit vier Personen unter Nutzung von vier Fahrzeugen und zudem der Ehefrau des Arbeitnehmers nicht erforderlich und der geforderte Betrag damit deutlich zu hoch gewesen sei. Mit den bei dem Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg eingelegten Berufungen verfolgten die Parteien ihre jeweiligen Anträge weiter.
Wie hat das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg entschieden?
Auf die Berufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg die erstinstanzliche Entscheidung abgeändert und entschieden, dass sowohl die fristlose wie auch die hilfsweise ordentliche Kündigung unwirksam sind. Zudem hat es dem Auflösungsantrag des Arbeitnehmers stattgegeben und das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung aufgelöst. Die Berufung der Arbeitgeberin, bezogen auf die Erstattung der Detektivkosten, hatte hingegen keinen Erfolg.
Auch nach der Auffassung des Landesarbeitsgerichts stellten die unzutreffenden Angaben des Arbeitsnehmers in der Reisekostenabrechnung grundsätzlich eine erhebliche Pflichtverletzung dar. Angesichts der Tatsache, dass die Arbeitgeberin die Beweise durch eine unzulässige Überwachungsmaßnahme erlangt habe, seien diese Beweise im Kündigungsschutzprozess jedoch nicht verwertbar, sodass diese Pflichtverletzung nicht als Grund für die streitgegenständliche Kündigung herangezogen werden konnte.
Diesbezüglich führte das Landesarbeitsgericht sodann aus, dass die heimliche Observation eines Mitarbeiters durch einen Detektiv einen erheblichen Eingriff in das grundrechtlich geschützte Allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers darstelle. Ein solcher Eingriff sei nur ausnahmsweise zulässig, wenn im Vorfeld ein auf konkrete Tatsachen gegründeter Verdacht für das Vorliegen einer Straftat oder einer schwerwiegenden arbeitsrechtlichen Pflichtverletzung bestehe. Eine verdeckte Ermittlung „ins Blaue hinein“, ob sich der Arbeitnehmer möglicherweise pflichtwidrig verhalte, sei hingegen unzulässig. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verlange in einem solchen Fall darüber hinaus, dass ein Arbeitgeber vor der Anordnung einer Überwachungsmaßnahme zunächst alle sonstigen, verfügbaren Erkenntnisquellen ausschöpfe. Verstoße der Arbeitgeber hiergegen, so ergebe sich regelmäßig aus der hierin liegenden Verletzung von Persönlichkeitsrechten ein Sachvortrags- und Beweisverwertungsverbot.
Bezogen auf den zu entscheidenden Fall kam das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg schließlich zu dem Schluss, dass die Arbeitgeberin vor der Anordnung der heimlichen Überwachung des Arbeitnehmers gerade nicht alle milderen Mittel ausgeschöpft hatte. Vielmehr hätte sie zunächst auf die Daten des im Unternehmen angewandten CRM, einem EDV-System, zurückzugreifen müssen, um auf diesem Wege etwaige Unregelmäßigkeiten bei der Arbeitszeiterfassung des Arbeitnehmers aufzudecken. Eine etwaige Verpflichtung des Arbeitnehmers zur Erstattung der Detektivkosten lehnte das Landesarbeitsgericht ab, da es bereits an dem erforderlichen konkreten Tatverdacht für die Überwachung mangelte. Des Weiteren bejahte das Landesarbeitsgericht -unter angemessener Berücksichtigung der Einzelfallumstände -die Unzumutbarkeit der Fortführung des Arbeitsverhältnisses für den Arbeitnehmer und löste das Arbeitsverhältnis mithin gegen Zahlung einer Abfindung auf.
Fazit
Die Entscheidung ist zu begrüßen.
Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg zeigt deutlich auf, dass eine Mitarbeiterüberwachung nur in engen Grenzen für den Arbeitgeber möglich ist. Überwachungen ins Blaue hinein sind unzulässig. Arbeitgeber dürfen ihre Beschäftigten nur dann durch den Einsatz eines Detektives beobachten lassen, wenn ein konkreter, durch entsprechende Tatsachen gestützter Verdacht einer schwerwiegenden arbeitsvertraglichen Pflichtverletzung besteht.
Sollte ein Arbeitgeber hingegen ohne einen solchen begründeten Anlass heimliche Überwachungsmaßnahmen durchführen bzw. in Auftrag gegeben und eine Kündigung sodann auf derartig unzulässig erlangte Beweise stützen, so droht ihm im Rahmen eines Kündigungsschutzprozesses ein Sachvortrags- und Beweisverwertungsverbot.
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