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„Unwirksamkeit einer fristlosen Kündigung wegen unberechtigter Privatnutzung eines Dienstwagens und vorgeworfenem Arbeitszeitbetruges“

Anmerkung zu: Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 18.12.2020, Az.: 6 Sa 522/20

Sachverhalt:

Der Arbeitnehmer war seit dem Jahr 1986 bei der Arbeitgeberin im Außendienst beschäftigt. Aufgrund tariflicher Vorschriften war er ordentlich unkündbar. Seitens der Arbeitgeberin war dem Arbeitnehmer ein Dienstwagen überlassen, den er jedoch nur zu dienstlichen, nicht für private Fahrten, nutzen durfte. Nach einer Auswertung des elektronischen Fahrtenbuchs warf die Arbeitgeberin dem Arbeitnehmer unberechtigte Privatfahrten mit dem überlassenen Dienstwagen vor. Außerdem habe er Pausenzeiten eigenmächtig überzogen und so Vergütung erschlichen. Nach einer Anhörung des Arbeitnehmers zu den Vorwürfen und einer Anhörung des Betriebsrats kündigte die Arbeitgeberin dem Arbeitnehmer fristlos, hilfsweise außerordentlich mit sozialer Auslauffrist. Dagegen wehrte sich der Arbeitnehmer mit einer Kündigungsschutzklage vor dem Arbeitsgericht und bekam Recht. Auch in der Berufung hat der Kläger obsiegt. 

Entscheidung:

Das Landesarbeitsgericht hat entscheiden, dass die Berufung der Arbeitgeberin in der Sache keinen Erfolg hat. Das Arbeitsgericht habe richtig entschieden, denn das Arbeitsverhältnis sei durch die außerordentliche Kündigung weder fristlos noch mit sozialer Auslauffrist beendet worden. Die fristlose Kündigung vom 25.11.2019 ist nach der Entscheidung des Landesarbeitsgericht gemäß § 626 Abs. 1 BGB unwirksam.

Unter Berufung auf die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts hat das Landesarbeitsgericht zunächst dargestellt, dass ein Arbeitsverhältnis gemäß § 626 BGB aus wichtigem Grund außerordentlich gekündigt werden kann, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zugemutet werden kann. Dabei hat die Prüfung in zwei Schritten zu erfolgen, nämlich zunächst, ob ein bestimmter Sachverhalt ohne die besonderen Umstände des Einzelfalles an sich geeignet ist, einen wichtigen Kündigungsgrund abzugeben, und sodann, ob nach Abwägung der in Betracht kommenden Interessen der Parteien des Arbeitsverhältnisses die konkrete Kündigung gerechtfertigt ist. Die Darlegungs- und Beweislast für alle Umstände des wichtigen Grundes gemäß § 626 BGB und für einen Ausschluss eines Rechtfertigungsgrundes, auf den sich der Gekündigte beruft, treffe den Arbeitgeber.

Hinsichtlich der Vorwürfe in Bezug auf das Fahrtenbuch fehlt es nach der Entscheidung des Landesarbeitsgerichts bereits an einem wichtigen Grund. Es liege kein die Kündigung rechtfertigender Arbeitszeitbetrug vor. Das vom Kläger geführte Fahrtenbuch habe nicht der Arbeitszeitkontrolle gedient, sondern ausschließlich der Dokumentation von dienstlich veranlassten Fahrten gegenüber den Steuerbehörden.

Hinsichtlich des Vorwurfs einer Überziehung von Pausenzeiten fehlte es nach der Würdigung des Landesarbeitsgerichts an einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit, dass der Kläger die ihm zustehenden Pausen verlängert habe, statt – wie von ihm behauptet – Vorbereitungshandlungen im Hinblick auf seine Arbeitstätigkeit vorgenommen zu haben.

Die fristlose Kündigung ist nach der Entscheidung des Landesarbeitsgericht unwirksam, weil der Beklagten eine Einhaltung der Kündigungsfrist zumutbar gewesen wäre. Dafür spreche die über 35-jährige beanstandungsfreie Beschäftigungszeit des Arbeitnehmers und das damit erworbene, objektiv festzustellende, Vertrauen. Eine für lange Jahre ungestörte Vertrauensbeziehung zweier Vertragspartner werde nicht notwendig schon durch eine erstmalige Vertrauensenttäuschung vollständig und unwiederbringlich zerstört. Je länger eine Vertragsbeziehung ungestört bestanden hat, desto eher könne die Prognose berechtigt sein, dass der dadurch erarbeitete Vorrat an Vertrauen durch einen erstmaligen Vorfall nicht vollständig aufgezehrt werde. Entscheidend sei ein objektiver Maßstab und nicht die subjektive Befindlichkeit und Einschätzung des Arbeitgebers oder bestimmter für ihn handelnder Personen. Es komme darauf an, ob der Arbeitgeber aus der Sicht eines objektiven Betrachters hinreichendes Vertrauen in den Arbeitnehmer haben müsse. Nicht entscheiden sei, ob der Arbeitgeber es tatsächlich habe. Denn es gehe im Arbeitsverhältnis nicht darum, ob ein umfassendes wechselseitiges Vertrauen in die moralischen Qualitäten der je anderen Vertragspartei bestehe, sondern um die von einem objektiven Standpunkt aus zu beantwortende Frage, ob mit einer korrekten Erfüllung der Vertragspflichten zu rechnen ist.

Nach der Entscheidung des Landesarbeitsgerichts wäre der Beklagten unter Würdigung der Umstände zumindest für die Dauer der Kündigungsfrist ohne Weiteres eine Beschäftigung des Klägers zumutbar gewesen. Überdies sei bei einer ordentlichen oder außerordentlichen Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung regelmäßig eine Abmahnung Voraussetzung, die im vorliegenden Fall unstreitig nicht vorlag.

Fazit und Praxishinweis:

Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf steht im Einklang mit der bisher ergangenen Rechtsprechung insbesondere des Bundesarbeitsgerichts (etwa BAG 13.12.2018 – 2 AZR 370/18; 22.10.2015 – 2 AZR 569/14; 10.06.2010 – 2 AZR 541/09; 29.06.2017 – 2 AZR 302/16). In einem ähnlich gelagerten Fall hatte auch das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg (Urteil vom 17.02.2011 – 25 Sa 2421/10) vergleichbar entscheiden. Zwar gibt das vorliegende Urteil keinen „Freifahrtsschein“ für Arbeitnehmer, von arbeitsvertraglichen Pflichten abzuweichen. Jedoch hat das Landesarbeitsgericht klargestellt, dass zum einen die Darlegungs- und Beweislast für den Kündigungsgrund bei dem Arbeitgeber liegt und ein Arbeitnehmer sich auf eine lange, beanstandungsfreie Betriebszugehörigkeit berufen kann. Zudem hat das Landesarbeitsgericht auch noch einmal das grundsätzliche Erfordernis einer vorherigen, einschlägigen Abmahnung bei einer verhaltensbedingten Kündigung betont. Der Entscheidung des Landesarbeitsgerichts ist zuzustimmen.

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