Kann eine Weiterbildung ein Bruch in der Erwerbsbiographie sein?

Anmerkung zu: Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 16.09.2020, Az.: 7 AZR 552/19

Sachverhalt:

Der Arbeitnehmer und der Arbeitgeber streiten über die Wirksamkeit der Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses aufgrund einer sachgrundlosen Befristung. Der Arbeitnehmer war bereits zuvor zwei Jahre befristet als betriebstechnischer Sachbearbeiter bei dem Arbeitgeber beschäftigt. Anschließend absolvierte er ein Studium zum Verwaltungs-Betriebswirt und wurde im Nachgang von dem Arbeitgeber auf einer anderen Stelle als Referent für Betriebssicherheit, nunmehr weniger mit bearbeitenden Aufgaben stattdessen mit überwiegenden Aufsichtstätigkeiten, erneut befristet eingestellt. Der Arbeitnehmer hat gerichtlich die Unwirksamkeit der erneuten Befristung geltend gemacht, mit der Begründung, die Befristung sei wegen der Vorbeschäftigung nicht nach § 14 Abs. 2 TzBfG gerechtfertigt. Der Arbeitgeber meint, das frühere Arbeitsverhältnis stehe der im zweiten Arbeitsvertrag vereinbarten sachgrundlosen Befristung nicht entgegen, da die Tätigkeiten des Arbeitnehmers nunmehr ganz andere seien. Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Arbeitgebers zurückgewiesen.

Rechtliche Grundlagen:

Nach § 14 Abs. 2 S. 1 Hs. 1 TzBfG ist die kalendermäßige Befristung eines Arbeitsvertrags ohne Vorliegen eines sachlichen Grundes bis zur Dauer von zwei Jahren zulässig. Bis zu dieser Gesamtdauer ist auch die höchstens dreimalige Verlängerung eines sachgrundlos befristeten Arbeitsvertrags zulässig. Nach § 14 Abs. 2 S. 2 TzBfG ist die sachgrundlose Befristung eines Arbeitsvertrags nach § 14 Abs. 2 S. 1 TzBfG nicht zulässig, wenn mit demselben Arbeitgeber bereits zuvor ein befristetes oder unbefristetes Arbeitsverhältnis bestanden hat.

Entscheidung:

Das Bundesarbeitsgericht hat die Revision des Arbeitgebers als unbegründet zurückgewiesen. Das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis habe nicht aufgrund der Befristungsvereinbarung im zweiten Arbeitsvertrag geendet. Die Befristung sei unwirksam und nicht nach § 14 Abs. 2 TzBfG ohne Sachgrund gerechtfertigt, denn der Kläger sei bereits „zuvor“ im Sinne der Vorschrift bei dem Arbeitgeber beschäftigt gewesen.

Das in § 14 Abs. 2 S. 2 TzBfG normierte Verbot der sachgrundlosen Befristung nach einer Vorbeschäftigung bei demselben Arbeitgeber wirke grundsätzlich uneingeschränkt. Allerdings sei nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in verfassungskonformer Auslegung der Vorschrift deren Anwendung auf Fälle auszuschließen, in denen das Verbot für die Parteien unzumutbar wäre. Das Verbot der sachgrundlosen Befristung bei nochmaliger Einstellung bei demselben Arbeitgeber sei danach unzumutbar, soweit eine Gefahr der Kettenbefristung in Ausnutzung der strukturellen Unterlegenheit der Beschäftigten nicht besteht und das Verbot der sachgrundlosen Befristung nicht erforderlich ist, um das unbefristete Arbeitsverhältnis als Regelbeschäftigungsform zu erhalten. Dies könne insbesondere dann der Fall sein, wenn eine Vorbeschäftigung sehr lang zurückliegt, ganz anders geartet war oder von sehr kurzer Dauer gewesen ist (unter Verweis auf BVerfG 06.06.2018 – 1 BvL 7/14, 1 BvR 1375/14).

Die Vorbeschäftigung des Arbeitnehmers liege mit ca. fünf Jahren nicht in diesem Sinne „sehr lange“ zurück. Die zweijährige Vorbeschäftigung sei auch nicht „von sehr kurzer Dauer“ gewesen. Die Tätigkeit aufgrund des zweiten Arbeitsvertrages sei zudem nicht „ganz anders geartet“ als die in dem vorhergehenden Beschäftigungsverhältnis ausgeübte Tätigkeit. Für die Annahme einer „ganz anders gearteten Tätigkeit“ im vorliegenden Zusammenhang sei regelmäßig erforderlich, dass die in dem neuen Arbeitsverhältnis geschuldete Tätigkeit Kenntnisse oder Fähigkeiten erfordert, die sich wesentlich von denjenigen unterscheiden, die für die Vorbeschäftigung erforderlich waren. Nicht jede Aus- und Weiterbildung könne zur Unzumutbarkeit der Anwendung des § 14 Abs. 2 S. 2 TzBfG führen. Die Weiterbildung des Arbeitnehmers zwischen den beiden Beschäftigungsverhältnissen stelle im zugrunde liegenden Fall nicht einen Bruch in seiner Erwerbsbiographie dar. Ein Bruch in der Erwerbsbiographie sei nicht zeitlich, sondern inhaltlich zu verstehen und anzunehmen, wenn – anders als im vorliegenden Fall – die Weiterbildung der Erwerbsbiographie des Arbeitnehmers eine völlig andere Richtung gebe. Daher sei die Anwendung des Verbots der sachgrundlosen Befristung in § 14 Abs. 2 S. 2 TzBfG für die Parteien des Rechtsstreits nicht unzumutbar. Die unwirksame Befristung aus dem zweiten Arbeitsvertrag beendete das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis deswegen nicht. 

Fazit und Praxishinweis:

Das Bundesarbeitsgericht hat in seiner Entscheidung weiter konkretisiert, wann eine verfassungskonforme Auslegung des § 14 Abs. 2 S. 2 TzBfG zum Ausschluss des grundsätzlich uneingeschränkten Vorbeschäftigungsverbots führt. Die Entscheidung bringt also weitere Rechtsklarheit. Sie bestätigt und entwickelt die jüngere Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts fort und setzt die Grundsätze des Bundesverfassungsgerichts um. Für Arbeitnehmer lassen sich die Chancen einer Befristungskontrollklage genauer einschätzen. Die Entscheidung ist dogmatisch und praktisch zu begrüßen.

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Fristlose Kündigung wegen unentschuldigter Arbeitsabwesenheit

Anmerkung zu: Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein vom 03.06.2020, Az.: 1 Sa 72/20

Sachverhalt:

Das Arbeitsverhältnis der Parteien hatte erst wenige Tage bestanden, als die Arbeitnehmerin einen Tag unentschuldigt fehlte. Die Arbeitgeberin erklärte daraufhin die außerordentliche Kündigung. Die dagegen erhobene Kündigungsschutzklage der Arbeitnehmerin hatte sowohl vor dem Arbeitsgericht als auch vor dem Landesarbeitsgericht Erfolg.

Entscheidung:

Das Landesarbeitsgericht hat entschieden, dass die Klage der Arbeitnehmerin begründet sei. Die Kündigung der Arbeitgeberin sei rechtsunwirksam, denn für die Kündigung fehle es an einem wichtigen Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB. Zwar könne das Fernbleiben von der Arbeit, wenn es den Grad der beharrlichen Arbeitsverweigerung erreicht, grundsätzlich einen wichtigen Grund zur fristlosen Kündigung eines Arbeitsverhältnisses darstellen. Demgegenüber sei das Fehlen eines Arbeitnehmers an bloß einem einzigen Arbeitstag regelmäßig nicht geeignet, eine fristlose Kündigung ohne Ausspruch einer vorhergehenden Abmahnung zu rechtfertigen. Eine Abmahnung wegen des unentschuldigten Fehlens sei im vorliegenden Fall auch nicht entbehrlich gewesen, denn infolge einer Abmahnung sei sowohl eine Verhaltensänderung in Zukunft zu erwarten gewesen und es habe sich auch nicht um eine so schwere Pflichtverletzung gehandelt, dass die Hinnahme durch die Arbeitgeberin offensichtlich – für die Arbeitnehmerin erkennbar – ausgeschlossen gewesen sei.

Leitsatz 1 der Entscheidung:

Fehlt ein Arbeitnehmer an einem einzigen Tag seines Arbeitsverhältnisses unentschuldigt, rechtfertigt das in der Regel nicht die fristlose Kündigung. Auch in diesem Fall sind eine Arbeitsaufforderung und eine Abmahnung in der Regel erforderlich. Das gilt auch dann, wenn das Arbeitsverhältnis erst zwei Tage bestanden hat.

Fazit und Praxishinweis:

Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts steht im Einklang mit den geltenden rechtlichen Grundsätzen. Es ist zu beachten, dass ein unentschuldigtes Fernbleiben vom Arbeitsplatz mitunter eine auch außerordentliche Kündigung rechtfertigen kann, wenn das Fehlen die Schwelle zur „beharrlichen Arbeitsverweigerung“ überschreitet und ggf. eine vorherige Abmahnung erfolgt ist. Bei der rechtlichen Beurteilung sind stets die konkreten Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen.

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Kurzarbeit Null führt zur Kürzung des Urlaubsanspruchs

Anmerkung zu: Landesarbeitsgericht Düsseldorf vom 12.03.2021, Az.: 6 Sa 824/20

Sachverhalt:

Die Parteien stritten darüber, ob die beklagte Arbeitgeberin den Urlaub der Arbeitnehmerin aufgrund der infolge der Corona-Pandemie eingeführten Kurzarbeit „Null“ anteilig kürzen durfte.

Die Arbeitnehmerin war seit dem 01.03.2011 als Verkaufshilfe mit Backtätigkeiten bei der Arbeitgeberin in Teilzeit mit einer Drei-Tage-Woche beschäftigt. Gemäß arbeitsvertraglicher Vereinbarung standen ihr pro Kalenderjahr 28 Werktage bzw. umgerechnet 14 Arbeitstage Urlaub zu. Aufgrund der Corona-Pandemie galt in dem Betrieb der Arbeitgeberin im Jahr 2020 für die Arbeitnehmerin wiederholt Kurzarbeit „Null“. Im Rahmen der zwischen den Parteien abgeschlossenen Kurzarbeitsvereinbarung war offensichtlich keine Regelung hinsichtlich des Urlaubs getroffen worden, jedenfalls wurde eine solche im Prozess von keiner Partei vorgetragen. 

In den Monaten Juni, Juli und Oktober 2020 bestand die Kurzarbeit Null für die Arbeitnehmerin durchgehend; im August und September 2020 hatte die Arbeitgeberin der Arbeitnehmerin insgesamt 11,5 Arbeitstage Urlaub gewährt und sie einvernehmliche für diese Zeiten aus der Kurzarbeit herausgenommen. Für die drei vollen Monate, in denen sich die Arbeitnehmerin in Kurzarbeit „Null“ befand, hatte die Arbeitgeberin den Urlaubsanspruch anteilig jeweils um 1/12 gekürzt. Die Arbeitnehmerin war hingegen der Ansicht, dass die Kurzarbeit „Null“ keinen Einfluss auf ihren Jahresurlaubsanspruch haben könne und begehrte mit ihrer Klage die Feststellung, dass ihr für das Kalenderjahr 2020 ein ungekürzter Urlaubsanspruch von 14 Arbeitstagen (28 Werktagen) zustehe.

Das Arbeitsgericht Essen hat die Klage abgewiesen. Mit der Berufung verfolgte die Klägerin ihr Klageziel weiter und begehrte nunmehr die Feststellung, dass ihr aus dem Jahr 2020 noch ein restlicher Urlaubsanspruch von 2,5 Urlaubstagen zusteht.

Entscheidung:

Das Rechtsmittel der Berufung hatte keinen Erfolg. 

Nach der Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf ist die konjunkturelle Kurzarbeit „Null“ mit anderen Fallgestaltungen einer vorübergehenden Suspendierung der Arbeitspflicht vergleichbar, für die bereits entschieden worden ist, dass sie zu einer anteiligen Kürzung des Urlaubsanspruchs führen.

Aufgrund der Kurzarbeit Null in den Monaten Juni, Juli und Oktober 2020 habe die Arbeitnehmerin nach Ansicht des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf in diesem Zeitraum keine Urlaubsansprüche gemäß § 3 Bundesurlaubsgesetz erworben, sodass ihr der Jahresurlaubsanspruch 2020 aus diesem Grunde auch nur anteilig im gekürzten Umfang zustehe. 

§ 3 Bundesurlaubsgesetz bestimme die Zahl der Urlaubstage in Abhängigkeit von der Anzahl der Tage mit Arbeitspflicht. Wechsele die Anzahl der Arbeitstage unterjährig, müsse der gesetzliche Urlaubsanspruch für das betreffende Kalenderjahr unter Berücksichtigung der einzelnen Zeiträume der Beschäftigung und der auf sie entfallenden Wochentage mit Arbeitspflicht umgerechnet werden. Dies gelte auch, wenn für einzelne Zeiträume eine Befreiung von der Arbeitsverpflichtung, also eine Arbeitszeit von „Null“ vereinbart worden sei. 

So hat die Rechtsprechung bereits für mehrere Fallgestaltungen, in denen die Arbeitspflicht suspendiert worden ist, angenommen, dass diese Zeiträume zu einer anteiligen Verminderung des Urlaubsanspruchs führen: z.B. für Zeiten, in denen ein unbezahlter Sonderurlaub vereinbart wird, für die Freistellungsphase einer Altersteilzeit im Blockmodell oder den Mutterschaftsurlaub.

Auch im Falle der Vereinbarung einer Kurzarbeit „Null“ läge eine Einigung der Parteien auf eine vorübergehende Suspendierung der Arbeitspflicht vor. So müsse der betreffende Arbeitnehmer keine ganzjährige Arbeitsleistung erbringen, sodass der Umfang des Urlaubsanspruchs grundsätzlich auch in diesem Fall durch eine jahresbezogene Umrechnung zu ermitteln sei.

Diese rechtliche Bewertung stehe auch im Einklang mit dem Unionsrecht. Der Gerichtshof der Europäischen Union habe insofern entschieden, dass Kurzarbeiter zwar formell betrachtet einen Vollzeitarbeitsvertrag haben, sie aber als „vorübergehend teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer“ anzusehen seien. Faktisch sei die Situation der Kurzarbeiter mit derjenigen von Teilzeitbeschäftigten vergleichbar, sodass für ihren Anspruch auf Jahresurlaub der Pro-rata-temporis-Grundsatz gelte, mithin eine anteilige Kürzung des Urlaubsanspruchs vorzunehmen sei.

Abschließend stellte das Landesarbeitsgericht Düsseldorf sodann noch klar, dass das deutsche Recht keine der Kürzung des Urlaubsanspruchs entgegenstehende Regelung vorsähe. Kurzarbeit „Null“ sei im Übrigen auch nicht mit einer Arbeitsunfähigkeit zu vergleichen.

Fazit und Praxishinweis:

Das Landesarbeitsgericht hat die Revision zum Bundesarbeitsgericht wegen der grundsätzlichen Bedeutung einer entscheidungserheblichen Rechtsfrage zugelassen. 

Eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts zu dieser Rechtsfrage liegt bislang -soweit ersichtlich- noch nicht vor. Es bleibt daher abzuwarten, ob das Bundesarbeitsgericht sich dieser Rechtsauffassung anschließen wird.

In jedem Fall ist Arbeitnehmern/-innen und Betriebsräten anzuraten, im Falle des Abschlusses von Vereinbarungen betreffend die Einführung von Kurzarbeit eine ausdrückliche Regelung aufzunehmen, die vorsieht, dass Kurzarbeitszeiträume nicht zu einer anteiligen Kürzung des Jahresurlaubsanspruchs führen.

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Bedauerns-, Dankes- und gute-Wünsche-Formel im Zeugnis sollten sich Arbeitnehmer bereits in Aufhebungsverträgen und Vergleichen sichern

Anmerkung zu Landesarbeitsgericht Düsseldorf vom 12.01.2021, Az. 3 Sa 800/20

Was ist geschehen?

Arbeitnehmer und Arbeitgeber führten einen Kündigungsschutzprozess und beendeten diesen mit einem gerichtlichen Vergleich, der neben einer Abfindungszahlung die Erteilung eines qualifizierten Arbeitszeugnisses regelte. Der Arbeitnehmer erhielt sodann vom Arbeitgeber ein qualifiziertes Arbeitszeugnis, jedoch ohne eine sog. Schlussformel des „Dankes“ und der „guten Wünsche“. Der Arbeitnehmer erhob daraufhin Zeugnisberichtigungsklage. Das Arbeitsgericht Mönchengladbach wies die Klage ab. Dagegen wehrte sich der Arbeitnehmer mit der Berufung beim Landesarbeitsgericht Düsseldorf.

Wie hat das Landesarbeitsgericht Düsseldorf den Fall bewertet?

Das Landesarbeitsgericht Düsseldorf gab dem Arbeitnehmer bzgl. der Schlussformel des Dankes und der Zukunftswünsche recht. Der Rechtsanspruch des Klägers folge aus § 109 Abs. 1 Satz 3, Abs. 2 GewO i.V.m. § 241 Abs. 2 BGB.

Das Landesarbeitsgericht betonte hier, dass ein Arbeitgeber nach § 241 Abs. 2 BGB verpflichtet sei, dafür zu sorgen, dass die dem Arbeitnehmer aufgrund des Arbeitsverhältnisses gewährten Vorteile nicht wieder entzogen, geschmälert oder gefährdet werden dürfen. Bei einem qualifizierten Arbeitszeugnis geht es unter anderem darum, dass dem Arbeitnehmer eine in sich widerspruchsfreie und dem beruflichen Fortkommen förderliche Bescheinigung von Tätigkeit, Führung und Leistung im bisherigen Arbeitsverhältnis als eine wesentliche Unterlage für Bewerbungen und damit zur Förderung des beruflichen Fortkommens verschafft wird. 

Das Landesarbeitsgericht ist der Auffassung, dass dann, wenn das Arbeitszeugnis im Bereich der Schlussformulierung eine Lücke enthalte, sich aus der Rücksichtnahmepflicht des § 241 Abs. 2 BGB eine Anspruchsgrundlage ergeben könne, diese Lücke entsprechend zu schließen, soweit dem nicht berechtigte Interessen des Arbeitgebers entgegenstehen. 

Das Landesarbeitsgericht arbeitete zudem heraus, dass dieser Wohlwollensgrundsatz stets in einem Spannungsverhältnis mit dem sog. Wahrheitsgrundsatz steht. Denn kein Arbeitgeber ist verpflichtet, unwahre Tatsachen zu bescheinigen. 

Die Wahrheitspflicht ist durch die dem Arbeitnehmer zuzusprechende Formulierung von Dank und guten Wünschen nach Auffassung des Landesarbeitsgerichts aber nicht verletzt. Das Landesarbeitsgericht hat sich nämlich auf den Standpunkt gestellt, dass wahr oder unwahr nur Tatsachen sein können, nicht Höflichkeitsformen wie ein Dank oder gute Wünsche. Daher überzeuge nach Auffassung des Landesarbeitsgerichts die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts nicht, wonach der Arbeitgeber nicht zum Ausdruck von persönlichen Empfindungen verpflichtet werden kann. 

Als Vergleich zieht das Landesarbeitsgericht heran, dass beispielsweise auch ein Kundenbetreuer als Arbeitnehmer vom Arbeitgeber wirksam angewiesen werden dürfte, übliche Höflichkeitsfloskeln wie „Danke für Ihren Anruf / Auftrag“ etc. und „beste Grüße / Wünsche“ etc. am Ende eines Kundengesprächs zu verwenden. 

Es sei, so das Landesarbeitsgericht weiter, ein Gebot von Anstand und Höflichkeit, sich selbst für eine durchschnittliche Leistung und ein entsprechendes Verhalten im Arbeitsverhältnis an dessen Ende zu bedanken. Erst recht gelte dies, wie in dem zu entscheidenden Fall, bei deutlich überdurchschnittlichen Leistungen. Das gleiche gelte für die guten Zukunftswünsche.

Wie ist die Entscheidung einzuordnen?

Das Urteil ist zwar sehr zu begrüßen. Das Landesarbeitsgericht Düsseldorf bleibt insofern seiner Linie treu (in die gleiche Richtung geht auch das Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 02.04.2019, Az.: 2 Sa 187/18). Das Bundesarbeitsgericht sieht die Sache aber bislang anders (vgl. BAG vom 11.12.2012, Az.: 9 AZR 227/11; BAG vom 20.02.2001, Az.: 44/00). Eine Änderung der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist derzeit auch nicht absehbar. Arbeitnehmer sollten sich daher weiterhin von vornherein, sei es im Aufhebungsvertrag oder im gerichtlichen Vergleich im Rahmen eines Kündigungsschutzprozesses, ihre gewünschten Formulierungen im Zeugnis sichern. Dies ist ohne Weiteres rechtlich möglich, zum Beispiel durch Übertragung der sog. Formulierungshoheit auf den Arbeitnehmer. Das Bundesarbeitsgericht hat in Bezug auf gerichtliche Vergleiche auch aufgezeigt, wie solche Formulierungswünsche so gesichert werden können, dass diese im Streitfall  – ohne eine erneute zeit- und kostenintensive Klage – vollstreckt werden können. 

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„Unwirksamkeit einer fristlosen Kündigung wegen unberechtigter Privatnutzung eines Dienstwagens und vorgeworfenem Arbeitszeitbetruges“

Anmerkung zu: Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 18.12.2020, Az.: 6 Sa 522/20

Sachverhalt:

Der Arbeitnehmer war seit dem Jahr 1986 bei der Arbeitgeberin im Außendienst beschäftigt. Aufgrund tariflicher Vorschriften war er ordentlich unkündbar. Seitens der Arbeitgeberin war dem Arbeitnehmer ein Dienstwagen überlassen, den er jedoch nur zu dienstlichen, nicht für private Fahrten, nutzen durfte. Nach einer Auswertung des elektronischen Fahrtenbuchs warf die Arbeitgeberin dem Arbeitnehmer unberechtigte Privatfahrten mit dem überlassenen Dienstwagen vor. Außerdem habe er Pausenzeiten eigenmächtig überzogen und so Vergütung erschlichen. Nach einer Anhörung des Arbeitnehmers zu den Vorwürfen und einer Anhörung des Betriebsrats kündigte die Arbeitgeberin dem Arbeitnehmer fristlos, hilfsweise außerordentlich mit sozialer Auslauffrist. Dagegen wehrte sich der Arbeitnehmer mit einer Kündigungsschutzklage vor dem Arbeitsgericht und bekam Recht. Auch in der Berufung hat der Kläger obsiegt. 

Entscheidung:

Das Landesarbeitsgericht hat entscheiden, dass die Berufung der Arbeitgeberin in der Sache keinen Erfolg hat. Das Arbeitsgericht habe richtig entschieden, denn das Arbeitsverhältnis sei durch die außerordentliche Kündigung weder fristlos noch mit sozialer Auslauffrist beendet worden. Die fristlose Kündigung vom 25.11.2019 ist nach der Entscheidung des Landesarbeitsgericht gemäß § 626 Abs. 1 BGB unwirksam.

Unter Berufung auf die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts hat das Landesarbeitsgericht zunächst dargestellt, dass ein Arbeitsverhältnis gemäß § 626 BGB aus wichtigem Grund außerordentlich gekündigt werden kann, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zugemutet werden kann. Dabei hat die Prüfung in zwei Schritten zu erfolgen, nämlich zunächst, ob ein bestimmter Sachverhalt ohne die besonderen Umstände des Einzelfalles an sich geeignet ist, einen wichtigen Kündigungsgrund abzugeben, und sodann, ob nach Abwägung der in Betracht kommenden Interessen der Parteien des Arbeitsverhältnisses die konkrete Kündigung gerechtfertigt ist. Die Darlegungs- und Beweislast für alle Umstände des wichtigen Grundes gemäß § 626 BGB und für einen Ausschluss eines Rechtfertigungsgrundes, auf den sich der Gekündigte beruft, treffe den Arbeitgeber.

Hinsichtlich der Vorwürfe in Bezug auf das Fahrtenbuch fehlt es nach der Entscheidung des Landesarbeitsgerichts bereits an einem wichtigen Grund. Es liege kein die Kündigung rechtfertigender Arbeitszeitbetrug vor. Das vom Kläger geführte Fahrtenbuch habe nicht der Arbeitszeitkontrolle gedient, sondern ausschließlich der Dokumentation von dienstlich veranlassten Fahrten gegenüber den Steuerbehörden.

Hinsichtlich des Vorwurfs einer Überziehung von Pausenzeiten fehlte es nach der Würdigung des Landesarbeitsgerichts an einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit, dass der Kläger die ihm zustehenden Pausen verlängert habe, statt – wie von ihm behauptet – Vorbereitungshandlungen im Hinblick auf seine Arbeitstätigkeit vorgenommen zu haben.

Die fristlose Kündigung ist nach der Entscheidung des Landesarbeitsgericht unwirksam, weil der Beklagten eine Einhaltung der Kündigungsfrist zumutbar gewesen wäre. Dafür spreche die über 35-jährige beanstandungsfreie Beschäftigungszeit des Arbeitnehmers und das damit erworbene, objektiv festzustellende, Vertrauen. Eine für lange Jahre ungestörte Vertrauensbeziehung zweier Vertragspartner werde nicht notwendig schon durch eine erstmalige Vertrauensenttäuschung vollständig und unwiederbringlich zerstört. Je länger eine Vertragsbeziehung ungestört bestanden hat, desto eher könne die Prognose berechtigt sein, dass der dadurch erarbeitete Vorrat an Vertrauen durch einen erstmaligen Vorfall nicht vollständig aufgezehrt werde. Entscheidend sei ein objektiver Maßstab und nicht die subjektive Befindlichkeit und Einschätzung des Arbeitgebers oder bestimmter für ihn handelnder Personen. Es komme darauf an, ob der Arbeitgeber aus der Sicht eines objektiven Betrachters hinreichendes Vertrauen in den Arbeitnehmer haben müsse. Nicht entscheiden sei, ob der Arbeitgeber es tatsächlich habe. Denn es gehe im Arbeitsverhältnis nicht darum, ob ein umfassendes wechselseitiges Vertrauen in die moralischen Qualitäten der je anderen Vertragspartei bestehe, sondern um die von einem objektiven Standpunkt aus zu beantwortende Frage, ob mit einer korrekten Erfüllung der Vertragspflichten zu rechnen ist.

Nach der Entscheidung des Landesarbeitsgerichts wäre der Beklagten unter Würdigung der Umstände zumindest für die Dauer der Kündigungsfrist ohne Weiteres eine Beschäftigung des Klägers zumutbar gewesen. Überdies sei bei einer ordentlichen oder außerordentlichen Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung regelmäßig eine Abmahnung Voraussetzung, die im vorliegenden Fall unstreitig nicht vorlag.

Fazit und Praxishinweis:

Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf steht im Einklang mit der bisher ergangenen Rechtsprechung insbesondere des Bundesarbeitsgerichts (etwa BAG 13.12.2018 – 2 AZR 370/18; 22.10.2015 – 2 AZR 569/14; 10.06.2010 – 2 AZR 541/09; 29.06.2017 – 2 AZR 302/16). In einem ähnlich gelagerten Fall hatte auch das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg (Urteil vom 17.02.2011 – 25 Sa 2421/10) vergleichbar entscheiden. Zwar gibt das vorliegende Urteil keinen „Freifahrtsschein“ für Arbeitnehmer, von arbeitsvertraglichen Pflichten abzuweichen. Jedoch hat das Landesarbeitsgericht klargestellt, dass zum einen die Darlegungs- und Beweislast für den Kündigungsgrund bei dem Arbeitgeber liegt und ein Arbeitnehmer sich auf eine lange, beanstandungsfreie Betriebszugehörigkeit berufen kann. Zudem hat das Landesarbeitsgericht auch noch einmal das grundsätzliche Erfordernis einer vorherigen, einschlägigen Abmahnung bei einer verhaltensbedingten Kündigung betont. Der Entscheidung des Landesarbeitsgerichts ist zuzustimmen.

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„Man sieht sich immer zweimal im Leben“

Anmerkung zu: Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 17.09.2020, Az.: 17 Sa 8/20

Sachverhalt:

Der Arbeitnehmer war zunächst von 2013 bis Mitte 2015 und sodann ab Anfang 2016 als Key-Account-Manager bei der Arbeitgeberin beschäftigt. Mit Schreiben vom Dezember 2018 mahnte die Arbeitgeberin den Arbeitnehmer wegen Verstoßes gegen die Weisung, freitags die Wochenplanung für die folgende Woche vorzulegen, ab. In einem nachfolgenden Gespräch erklärte der Geschäftsführer der Arbeitgeberin, diese wolle das Arbeitsverhältnis mit dem Arbeitnehmer wegen aufgetretener Spannungen beenden und bot dem Arbeitnehmer den Abschluss eines Aufhebungsvertrags an, wobei über die inhaltlichen Eckpunkte keine Einigung erzielt werden konnte. Nach dem Gespräch verabschiedete sich der Kläger bei einer Kollegin mit den Worten „Man sieht sich immer zweimal im Leben“. Sodann verließ er das Betriebsgelände und war an den folgenden zwei Tagen weder für die Arbeitgeberin noch für Kunden erreichbar. Am darauffolgenden Tag löschte der Arbeitnehmer geschäftliche Daten auf dem Server der Arbeitgeberin im Umfang von 7,48 GB. Die Arbeitgeberin hörte nach Bekanntwerden des Verdachts den Arbeitnehmer schriftlich unter Fristsetzung an, worauf dieser bis zum Ablauf der Frist nicht reagierte. Am Folgetag erklärte die Arbeitgeberin die außerordentlich fristlose Tat- und Verdachtskündigung, hilfsweise eine ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses. Der Arbeitnehmer erhob dagegen Kündigungsschutzklage vor dem Arbeitsgericht (Stuttgart), das entschied, dass zwar die außerordentlich fristlose Kündigung unwirksam, die fristgerechte Kündigung jedoch wirksam sei. Hiergegen legten der Kläger Berufung und die Beklagte Anschlussberufung ein, sodass es zur Entscheidung des Landesarbeitsgerichts (Baden-Württemberg) kam.

Entscheidung:

Das Landesarbeitsgericht hat entscheiden, dass die außerordentlich fristlose Kündigung der Beklagten das Arbeitsverhältnis der Parteien beendet hat. Das Verhalten des Klägers stelle unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen einen wichtigen Grund zur außerordentlich fristlosen Kündigung im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB dar. Die Löschung von Daten auf dem Server der Beklagten stelle einen wichtigen Grund – an sich – dar. Denn es gehöre zu den vertraglichen Nebenpflichten eines Arbeitsverhältnisses im Sinne des § 241 Abs. 2 BGB, dass der Arbeitnehmer seinem Arbeitgeber den Zugriff auf betriebliche Dateien nicht verwehrt oder unmöglich macht. Die Kündigung sei auch nicht deshalb unwirksam, weil der Kläger nicht bereits einschlägig abgemahnt war. Der Kläger habe angesichts der Umstände nicht mit der Billigung des Arbeitgebers rechnen können, sodass die Beklagte den Kläger nicht zuvor abmahnen musste. Auch die vorzunehmende Interessenabwägung gehe zugunsten der Beklagten aus. Das Vertrauen der Beklagten in die Redlichkeit des Klägers sei unwiederbringlich zerstört, wenn dieser angesichts einer Konfliktsituation im Arbeitsverhältnis mit einer Löschung von Daten in beträchtlichem Umfang reagiert, so dass die Beklagte angesichts des objektiven Erklärungswerts dieses Verhaltens tatsächlich habe annehmen dürfen, der Kläger habe „verbrannte Erde“ hinter wollen, so das Landesarbeitsgericht.

Fazit und Praxishinweis:

Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg steht im Einklang mit den Entscheidungen anderer Landesarbeitsgerichte in ähnlich gelagerten Fällen (LAG Hessen, Urteil vom 05.08.2013, Az.: 7 Sa 1060/10 – Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung wegen unbefugter Löschung von Betriebsdaten; LAG Köln, Urteil vom 24.07.2002, Az.: 8 Sa 266/02 – Wirksamkeit einer fristgerechten Kündigung wegen unberechtigter Löschung von Kundendaten). Wie so oft im (Arbeits-)leben ist folglich ratsam, sein Vorgehen abzuwägen und die Risiken einer „verlockenden Rache“ nicht unberücksichtigt zu lassen. Fazit der zitierten Entscheidungen ist, dass ein Arbeitnehmer, der unbefugt Daten seines Arbeitgebers löscht oder für den eigenen Gebrauch verwendet (LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 16.05.2017, Az.: 7 Sa 38/17) den Fortbestand seines Arbeitsverhältnisses riskiert.

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Mitarbeiterüberwachung durch Detektive ist ohne konkreten Verdacht unzulässig

Anmerkerung zu: Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 11.09.2020 – 9 Sa 584/20

Worum ging es in der Entscheidung?

Der Arbeitnehmer war seit 1990, zuletzt als Vertriebsleiter, bei der Arbeitgeberin beschäftigt. Im März 2019 beauftragte die Arbeitgeberin eine Detektei mit der Überwachung des Arbeitnehmers. Der Arbeitnehmer und seine Ehefrau wurden sodann über mehrere Tage hinweg systematisch durch mehrere Mitarbeiter der Detektei beobachtet und fotografiert. Das Ergebnis dieser Überwachungsmaßnahme war schließlich, dass der Arbeitnehmer in Reisekostenabrechnungen falsche Angaben zu seinen Arbeits- bzw. Reisezeiten und zu den abgerechneten Spesen gemacht hatte. Auf Grundlage der durch die Observation der Detektive gewonnenen Erkenntnisse, sprach die Arbeitgeberin sodann eine fristlose, hilfsweise ordentliche Kündigung als Tat- und Verdachtskündigung aus. Sie begründete diese mit einem mehrfachen Arbeitszeit- und Spesenabrechnungsbetrug. 

Der Arbeitnehmer erhob sodann Kündigungsschutzklage und beantragte zudem die Auflösung seines Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer Abfindung wegen Unzumutbarkeit der Fortführung des Arbeitsverhältnisses. Im Wege der Widerklage begehrte die Arbeitgeberin die Erstattung der Detektivkosten durch den Arbeitnehmer.

Das Arbeitsgericht Berlin hat die Kündigungsschutzklage des Arbeitnehmers in der ersten Instanz abgewiesen und die fristlose Kündigung für wirksam erklärt. Die Widerklage hat es abgewiesen, da ein Erstattungsanspruch schon deshalb nicht bestehe, weil die Observierung mit vier Personen unter Nutzung von vier Fahrzeugen und zudem der Ehefrau des Arbeitnehmers nicht erforderlich und der geforderte Betrag damit deutlich zu hoch gewesen sei. Mit den bei dem Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg eingelegten Berufungen verfolgten die Parteien ihre jeweiligen Anträge weiter. 

Wie hat das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg entschieden?

Auf die Berufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg die erstinstanzliche Entscheidung abgeändert und entschieden, dass sowohl die fristlose wie auch die hilfsweise ordentliche Kündigung unwirksam sind. Zudem hat es dem Auflösungsantrag des Arbeitnehmers stattgegeben und das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung aufgelöst. Die Berufung der Arbeitgeberin, bezogen auf die Erstattung der Detektivkosten, hatte hingegen keinen Erfolg.

Auch nach der Auffassung des Landesarbeitsgerichts stellten die unzutreffenden Angaben des Arbeitsnehmers in der Reisekostenabrechnung grundsätzlich eine erhebliche Pflichtverletzung dar. Angesichts der Tatsache, dass die Arbeitgeberin die Beweise durch eine unzulässige Überwachungsmaßnahme erlangt habe, seien diese Beweise im Kündigungsschutzprozess jedoch nicht verwertbar, sodass diese Pflichtverletzung nicht als Grund für die streitgegenständliche Kündigung herangezogen werden konnte.

Diesbezüglich führte das Landesarbeitsgericht sodann aus, dass die heimliche Observation eines Mitarbeiters durch einen Detektiv einen erheblichen Eingriff in das grundrechtlich geschützte Allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers darstelle. Ein solcher Eingriff sei nur ausnahmsweise zulässig, wenn im Vorfeld ein auf konkrete Tatsachen gegründeter Verdacht für das Vorliegen einer Straftat oder einer schwerwiegenden arbeitsrechtlichen Pflichtverletzung bestehe. Eine verdeckte Ermittlung „ins Blaue hinein“, ob sich der Arbeitnehmer möglicherweise pflichtwidrig verhalte, sei hingegen unzulässig. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verlange in einem solchen Fall darüber hinaus, dass ein Arbeitgeber vor der Anordnung einer Überwachungsmaßnahme zunächst alle sonstigen, verfügbaren Erkenntnisquellen ausschöpfe. Verstoße der Arbeitgeber hiergegen, so ergebe sich regelmäßig aus der hierin liegenden Verletzung von Persönlichkeitsrechten ein Sachvortrags- und Beweisverwertungsverbot.

Bezogen auf den zu entscheidenden Fall kam das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg schließlich zu dem Schluss, dass die Arbeitgeberin vor der Anordnung der heimlichen Überwachung des Arbeitnehmers gerade nicht alle milderen Mittel ausgeschöpft hatte. Vielmehr hätte sie zunächst auf die Daten des im Unternehmen angewandten CRM, einem EDV-System, zurückzugreifen müssen, um auf diesem Wege etwaige Unregelmäßigkeiten bei der Arbeitszeiterfassung des Arbeitnehmers aufzudecken. Eine etwaige Verpflichtung des Arbeitnehmers zur Erstattung der Detektivkosten lehnte das Landesarbeitsgericht ab, da es bereits an dem erforderlichen konkreten Tatverdacht für die Überwachung mangelte. Des Weiteren bejahte das Landesarbeitsgericht -unter angemessener Berücksichtigung der Einzelfallumstände -die Unzumutbarkeit der Fortführung des Arbeitsverhältnisses für den Arbeitnehmer und löste das Arbeitsverhältnis mithin gegen Zahlung einer Abfindung auf.

Fazit

Die Entscheidung ist zu begrüßen. 

Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg zeigt deutlich auf, dass eine Mitarbeiterüberwachung nur in engen Grenzen für den Arbeitgeber möglich ist. Überwachungen ins Blaue hinein sind unzulässig. Arbeitgeber dürfen ihre Beschäftigten nur dann durch den Einsatz eines Detektives beobachten lassen, wenn ein konkreter, durch entsprechende Tatsachen gestützter Verdacht einer schwerwiegenden arbeitsvertraglichen Pflichtverletzung besteht.

Sollte ein Arbeitgeber hingegen ohne einen solchen begründeten Anlass heimliche Überwachungsmaßnahmen durchführen bzw. in Auftrag gegeben und eine Kündigung sodann auf derartig unzulässig erlangte Beweise stützen, so droht ihm im Rahmen eines Kündigungsschutzprozesses ein Sachvortrags- und Beweisverwertungsverbot.

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„Corona“ ist nicht per se ein Kündigungsgrund

Anmerkung zu: Urteile des Arbeitsgerichts Berlin vom 05.11.2020, Az.: 38 Ca 4569/20, und vom 25.08.2020, Az.: 34 Ca 6664/20, 34 Ca 6667/20 und 34 Ca 6668/20

Sachverhalt:

Das Arbeitsgericht hatte über mehrere betriebsbedingte Kündigungen zu entscheiden, die mit dem Hinweis auf „Corona“ bzw. mit einem Umsatzrückgang aufgrund der Pandemie von dem Arbeitgeber begründet wurden. Die Arbeitnehmer wehrten sich mit einer Kündigungsschutzklage gegen die ihnen gegenüber ausgesprochene Kündigung.

Entscheidung:

Das Arbeitsgericht gab den klagenden Arbeitnehmern Recht. Allein ein Hinweis des Arbeitgebers auf „Corona“ oder einen Umsatzrückgang aufgrund der Pandemie reicht zur Rechtfertigung einer betriebsbedingten Kündigung nicht aus. Der Arbeitgeber müsse stattdessen anhand seiner Auftrags- und Personalplanung im Einzelnen darlegen, dass nicht nur eine kurzfristige Auftragsschwankung besteht, sondern dass ein dauerhafter Auftragsrückgang zu erwarten sei. Ist in einem Betrieb Kurzarbeit eingeführt, spreche dies gegen die Dauerhaftigkeit des verminderten Beschäftigungsbedarfs (Arbeitsgericht Berlin, Urteil vom 05.11.2020, Az.: 38 Ca 4569/20). Die Angabe des Arbeitgebers, es liege ein starker Umsatzrückgang vor und der Ausspruch von Kündigungen sei daher unabwendbar, genüge zur Rechtfertigung einer betriebsbedingten Kündigung ebenfalls nicht (Arbeitsgericht Berlin, Urteile vom 25.08.2020, Az.: 34 Ca 6664/20, 34 Ca 6667/20 und 34 Ca 6668/20).

Fazit und Praxishinweis:

Arbeitnehmer müssen generell beachten, dass eine vom Arbeitgeber ausgesprochene Kündigung (egal ob verhaltens-, personen- oder betriebsbedingt) innerhalb von drei Wochen seit deren Erhalt durch die Erhebung einer Kündigungsschutzklage angegriffen werden muss, da sie sonst wirksam wird (§§ 4 S. 1, 7 KSchG). Gerade in den aktuellen Zeiten lohnt es sich – wie die beschriebenen Entscheidungen zeigen – gerichtlich gegen eine Kündigung vorzugehen, auch wenn der Arbeitgeber „die schwierige wirtschaftliche Lage wegen Corona“ oder ähnliches zur Begründung der Kündigung anführt. Denn ein solcher pauschaler Hinweis reicht zur Rechtfertigung einer Kündigung nicht aus. Der Arbeitgeber muss vielmehr die Tatsachen beweisen und zur Überzeugung des Gerichts darlegen, die die Kündigung bedingen sollen (§ 1 Abs. 2 S. 4 KSchG). Gelingt ihm dies nicht substantiiert, kann der Arbeitnehmer die Kündigungsschutzklage gewinnen und seinen Arbeitsplatz behalten.

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Koppelung der Höhe der Abfindung an Kinderfreibetrag ist diskriminierend

Anmerkung zu: Hessisches Landesarbeitsgericht, Urteil vom 28. Oktober 2020, Az.: 18 Sa 22/20

Worum ging es?

Die Arbeitgeberin hatte mit ihrem Gesamtbetriebsrat ein Freiwilligenprogramm und einen Sozialplan abgeschlossen. Der Sozialplan regelte neben einer Grund- Abfindung unter anderem auch eine Erhöhung der Abfindung „um 5.000 € pro Kind, das am Stichtag (Abschluss des Sozialplans) auf der Lohnsteuerkarte eingetragen ist“. 

Im Rahmen dieses Freiwilligenprogramms schied die Arbeitnehmerin mit einem Aufhebungsvertrag aus. Sie erhielt hierfür lediglich die Grund- Abfindung.

Die verheiratete Arbeitnehmerin hat zwei minderjährige Kinder und arbeitete in Teilzeit. Ihr Gehalt wurde nach der Lohnsteuerklasse V besteuert. Nach den §§ 38b Abs. 2, 39 Abs. 4 Nr. 2 EStG werden Kinderfreibeträge aber nur bei den Steuerklassen I bis IV berücksichtigt.

Die Arbeitnehmerin hat im Rahmen ihrer Klage geltend gemacht, dass die Regelung des Sozialplanes sie wegen ihres Geschlechts mittelbar benachteiligte und ihr daher die erhöhte Abfindung zustehe. Das Arbeitsgericht Darmstadt ist dem nicht gefolgt und hat die Klage auf Differenzzahlung (erhöhte Abfindung) abgewiesen. Dagegen wehrte sich die Arbeitnehmerin mit ihrer Berufung beim Hessischen Landesarbeitsgericht. 

Wie hat das Hessische Landesarbeitsgericht entschieden?

Das Hessische Landesarbeitsgericht gab der Arbeitnehmerin recht und sprach ihr die erhöhte Abfindung zu.

Nach Auffassung des Hessischen Landesarbeitsgerichts stellt die Abhängigkeit des Kinderzuschlages bei der Abfindung von der Berücksichtigung des Kindes im Rahmen der Lohnsteuerabzugsmerkmale eine mittelbare Benachteiligung der Arbeitnehmerin wegen ihres Geschlechts i.S.v. § 3 Abs. 2 AGG dar. Es ist nämlich – worauf das Gericht ausdrücklich hingewiesen hat – statistisch belegt, dass bei der Steuerklasse V der Anteil der verheirateten Frauen 89 % und der Anteil der verheiraten Männer 11 % beträgt. Eine sachliche Rechtfertigung für diese mittelbare Benachteiligung gab es nach Ansicht des Gerichts nicht. Insbesondere sei die Ungleichbehandlung nicht aus Gründen der „Praktikabilität“ und/oder zur „Kalkulation des Sozialplanvolumens“ gerechtfertigt. Das Mittel zur Erreichung des Ziels war nämlich nicht angemessen und erforderlich. Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung hat das LAG festgestellt, dass der Nachweis, dass eine Unterhaltspflicht gegenüber einem oder mehreren Kindern besteht, auch auf andere Weise geführt werden kann als ausschließlich über das Lohnsteuerabzugsmerkmal „Kinderfreibetrag“. Das LAG hat dabei darauf hingewiesen, dass im Regelfall der Nachweis über den Anspruch auf Kindergeld eines der beiden miteinander verheirateten Elternteile ausreicht und abschließend betont, dass das Ziel des Unternehmens nur solche Beschäftigte zusätzlich mit einer Abfindung zu entschädigen, deren Unterhaltspflichten tatsächlich feststellbar sind, nicht für die Personen erreicht wurde, welche die Lohnsteuerklasse V gewählt hatten. Damit sei von vorneherein eine Gruppe von Beschäftigten für die erhöhte Abfindnug ausgeschlossen worden, die aber am Stichtag tatsächlich unterhaltspflichtig waren, bei denen dies aber wegen der lohnsteuerrechtlichen Behandlung nicht ersichtlich ist.

Wie ist die Entscheidung einzuordnen?

Das Urteil ist sehr zu begrüßen. Das Hessische Landesarbeitsgericht hat der weit verbreiteten diskriminierenden Praxis in Sozialplänen, eine Abfindung für Beschäftigte mit Kindern nur zu erhöhen, wenn die Unterhaltspflicht aus einem Kinderfreibetrag als Lohnsteuerabzugsmerkmal ersichtlich wird, einen Riegel vorgeschoben. 

Die Entscheidung zeigt auf, dass das AGG Arbeitnehmerinnen einen umfassenden Schutz auch vor mittelbaren Diskriminierungen bietet und es sich für Arbeitnehmerinnen lohnt, solche und ähnliche Regelungen genauer unter die Lupe zu nehmen. Das Gericht hat richtig herausgearbeitet, dass Sozialpläne, wie andere Betriebsvereinbarungen auch, der gerichtlichen Rechtmäßigkeitskontrolle unterliegen und somit einer Verhältnismäßigkeitsprüfung zu unterziehen sind.

Zum gleichen Ergebnis wie das Hessische Landesarbeitsgericht ist bereits das Landesarbeitsgericht Nürnberg im Jahr 2015 gekommen (Urteil vom 03. November 2015 – 7 Sa 655/14). Beide Entscheidungen stellen sich gegen ein Urteil des Bundesarbeitsgerichts aus dem Jahr 1997 (Urteil vom 12.3.1997 – 10 AZR 648/96), das jedoch zu einer früheren Rechtslage im EStG ergangen ist.

Das letzte Wort ist daher noch nicht gesprochen. 

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