Ein Entwurf kann kein Urteil sein, aber zumindest ein „Scheinurteil“. Und was nun? Gehe zurück auf los!

Anmerkung zu: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 14. Oktober 2020 – 5 AZR 712/19 

Was ist passiert?

Der Kläger hat gegen seinen Arbeitgeber eine Zahlungsklage erhoben. Der Fall nimmt bis zum Kammertermin offenbar einen prozessual „normalen“ Verlauf. Es kommt zum Kammertermin, der damit endet, dass eine Entscheidung am Schluss der Sitzung ergeht. Das Arbeitsgericht Dresden hat die Klage durch „Urteil“ abgewiesen. 

Auch das Protokoll der mündlichen Verhandlung enthält den Hinweis, dass eine Entscheidung am Schluss der Sitzung ergeht. 

Das Problem: in dem Protokoll der mündlichen Verhandlung des Arbeitsgerichts findet die Verkündigung „dieses Urteils“ keinerlei Erwähnung.  

Das „Urteil“ wurde danach in vollständig abgefasster Form begründet. Dagegen hat der Kläger Berufung eingelegt. Das Landesarbeitsgericht hat in der Sache entschieden und die Berufung zurückgewiesen. Danach legte der Kläger Revision beim Bundesarbeitsgericht ein und verfolgte seine Zahlungsansprüche weiter. 

Was hat das Bundesarbeitsgericht gemacht?

Wie es sich gehört, hat es von Amts wegen erstmal die Formalien geprüft. Das Bundesarbeitsgericht hat, was niemandem vorher aufgefallen war, festgestellt, dass es gar kein Urteil des Arbeitsgerichts Dresden gab, sondern nur einen Entwurf und die Parteien bislang nur über ein „Scheinurteil“ gestritten haben. 

Das „Urteil“ des Arbeitsgerichts Dresden leide nämlich an einem nicht behebbaren Verfahrensfehler, da es ausweislich des Protokolls der mündlichen Verhandlung nicht verkündet worden und damit die erste Instanz immer noch nicht abgeschlossen ist. Das Bundesarbeitsgericht hat klargestellt, dass es irrelevant ist, ob das Urteil nun tatsächlich verkündet worden ist oder nicht. D.h. es bedurfte auch keiner Beweisaufnahme, etwa durch Vernehmung der Richter in erster Instanz. Denn die Verkündung einer Entscheidung ist im Protokoll festzustellen (§ 160 Abs. 3 Nr. 7 ZPO). Und diese Feststellung der Verkündung ist eine wesentliche Förmlichkeit (§ 165 ZPO). Ausschließlich das Protokoll kann beweisen, dass das Urteil wirklich verkündet wurde (BGH 8. Februar 2012 – XII ZB 165/11 – Rn. 12).

Damit lag für das Bundesarbeitsgericht lediglich ein Urteilsentwurf vor. Es hat aber gleichzeitig klargestellt, dass der Urteilsentwurf, obwohl dieser keine rechtliche Wirkung entfalten kann, mit der Berufung anfechtbar ist, nämlich zur Beseitigung des mit ihm verbundenen Rechtsscheins (vgl. BGH 3. November 1994 – LwZB 5/94 – zu III der Gründe; 16. Oktober 1984 – VI ZB 25/83 – zu II 2 a der Gründe). Der Entwurf des Urteils ist insofern damit ein „Scheinurteil“. 

Das Bundesarbeitsgericht erläutert sodann, wie das Landesarbeitsgericht mit der Berufung gegen das „Scheinurteil“ hätte umgehen müssen: nämlich Zurückverweisung an das Arbeitsgericht Dresden, obwohl § 68 ArbGG die Zurückverweisung an das Arbeitsgericht wegen eines Mangels im Verfahren ausdrücklich ausschließt. 

Auch hierfür hat das BAG eine Lösung aufgezeigt und sehr präzise herausgearbeitet, dass eine Zurückverweisung an das Arbeitsgericht jedoch ausnahmsweise entgegen der Regelung in § 68 ArbGG doch in Betracht kommt, wenn ein Verfahrensfehler vorliegt, der in der Berufungsinstanz nicht korrigiert werden kann (BAG 20. Februar 2014 – 2 AZR 248/13). Da das Landesarbeitsgericht die unterbliebene Urteilsverkündung nicht selbst vornehmen konnte, blieb keine andere Wahl, als den Rechtsstreit wieder ganz zurück an die erste Instanz zurückzuverweisen.

Wie ist die Entscheidung einzuordnen?

„Es ist wahr. Sie träumen nicht“. An dieses „Fußballzitat“ aus dem WM-Halbfinale 2014 kann man sich bei der Lektüre dieses Verfahrensverlaufs ein wenig erinnert fühlen. Nur hier gab es für niemanden der Beteiligten etwas zu feiern. Auch das ist selten. Es lässt sich aus der veröffentlichen Entscheidung nicht genau entnehmen, wie viele Jahre die Parteien „verschwendet“ haben, um wieder dort zu stehen, wo sie begonnen haben. 

Die Entscheidung des BAG ist aber in jeglicher Hinsicht richtig und lehrreich, da es sämtliche Prozessbeteiligte daran erinnert, dass die wesentlichen Formvorschriften einzuhalten sind, andernfalls kein rechtsstaatliches Gerichtsverfahren vorliegt. Es geht hier also nicht um reine „Förmelei“. Für Prozessbevollmächtigte sollte die Entscheidung des BAG als Warnung dienen, was passieren kann, wenn Gerichtsprotokolle oder auch andere Gerichtsunterlagen nicht genau geprüft werden. Diese zusätzliche Schleife, die die Parteien in dem Fall nun nochmal ziehen müssen, hätten sich beide Seiten sicher gern erspart und auch ersparen können. 

Zum gleichen Ergebnis wie das Bundesarbeitsgericht ist auch das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg mit seinem Beschluss vom 10. Juni 2020 – 4 TaBV 739/20 in einem ähnlich „kuriosen“ Fall gekommen, wobei das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg ausgeführt hat, dass die Zurückweisung nur klarstellend erfolge. Denn wenn die 1. Instanz mangels verkündeten Urteils nicht abgeschlossen sei, sei der Fall prozessual noch immer in der 1. Instanz anhängig. Folglich bedürfe es keiner Zurückweisung. 

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Vorsicht bei der „Androhung“ von Krankheit

Anmerkung zu: Urteil des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz vom 21.07.2020, Az.: 8 Sa 430/19

Sachverhalt:

Zwischen dem Arbeitnehmer und dem Arbeitgeber bestand seit ca. Mitte 2018 ein Arbeitsverhältnis, innerhalb dessen es zwischen den Parteien seit dem Frühjahr 2019 vermehrt zu Spannungen kam. Der Arbeitgeber stellte den Arbeitnehmer daraufhin zunächst für wenige Tage von der Arbeit frei und forderte ihn dann in einem Telefonat auf, am darauffolgenden Arbeitstag zu einem „Abstimmungsgespräch“ wieder am Arbeitsplatz zu erscheinen. Dabei stellte der Arbeitgeber auch den Abschluss eines Aufhebungsvertrages in den Raum. Der Arbeitnehmer reagierte, indem er erklärte, er könne „ja noch krank werden“. Daraufhin kündigte der Arbeitgeber noch am selben Tag mit schriftlicher Kündigung das Arbeitsverhältnis fristlos, hilfsweise fristgerecht. Am darauffolgenden Arbeitstag erschien der Arbeitnehmer nicht am Arbeitsplatz und meldete sich arbeitsunfähig krank. In dem Kündigungsrechtsstreit gab er an, der Erhalt der Kündigung habe ihn gestresst, sodass er einen Arzt aufsuchen musste, der ihn – unstreitig – für die nächsten Tage arbeitsunfähig krankschrieb. Das Arbeitsgericht hat in der ersten Instanz die Kündigungsschutzklage abgewiesen. Mit der Berufung verfolgte der Arbeitnehmer seinen Antrag weiter – ohne Erfolg.

Entscheidung:

Das Landesarbeitsgericht hat entschieden, dass eine außerordentliche fristlose Kündigung im Grundsatz gerechtfertigt ist, wenn der Arbeitnehmer einer Weisung des Arbeitgebers mit der Drohung entgegentritt, sich krankschreiben zu lassen. Unerheblich sei dabei, ob der Arbeitnehmer später tatsächlich erkrankt oder ob die Weisung rechtswidrig war, denn die kündigungsrelevante Nebenpflichtverletzung bestehe in der Art und Weise des Vorgehens des Arbeitnehmers. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann ein Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Diese Voraussetzungen sah das Landearbeitsgericht vorliegend als erfüllt an.

Dabei stützte es sich auf die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, wonach bereits die Ankündigung einer zukünftigen, im Zeitpunkt der Äußerung noch nicht bestehenden Erkrankung für den Fall, dass der Arbeitgeber einem Verlangen des Arbeitnehmers (z.B. auf Urlaubsgewährung) nicht entsprechen sollte, einen wichtigen Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB darstellt; dies gilt ohne Rücksicht auf eine später möglicherweise tatsächlich auftretende Krankheit. Grund dafür soll sein, dass der Arbeitnehmer mit einer solchen Erklärung zum Ausdruck bringt, dass er notfalls bereit sei, seine Rechte aus dem Entgeltfortzahlungsrecht zu missbrauchen, um sich einen unberechtigten Vorteil zu verschaffen. Mit einem solchen Verhalten verletze der Arbeitnehmer seine aus der Rücksichtnahmepflicht folgende Leistungstreuepflicht erheblich (BAG 12.03.2009 – 2 AZR 251/07; 17.06.2003 – 2 AZR 123/02).

Der Arbeitnehmer – so das Landesarbeitsgericht weiter – habe eine erhebliche Pflichtverletzung begangen, als er drohte, sich krankschreiben zu lassen, sollte der Arbeitgeber ihn zum Erscheinen am Arbeitsplatz am nächsten Arbeitstag anweisen. Denn der Arbeitnehmer habe dadurch versucht, den Arbeitgeber von der Weisung zum Erscheinen am Arbeitsplatz abzubringen, indem er eine unberechtigte Krankschreibung in Aussicht stellte. Der Arbeitnehmer habe mit der Art und Weise seines Verhaltens eine Nebenpflichtverletzung begangen. Dabei sei es unerheblich, ob der Arbeitnehmer nach seiner Drohung tatsächlich am darauffolgenden Arbeitstag krank wurde oder nicht. Ebenso, ob der Arbeitgeber zu der Weisung befugt war. Denn es habe dem Arbeitnehmer freigestanden, sich der rechtswidrigen Weisung auch ohne den Ausspruch von Drohungen zu widersetzen, also dem Arbeitsplatz schlicht fernzubleiben oder gegen die Weisung den Rechtsweg zu beschreiten.

Im Ergebnis stellte das Landesarbeitsgericht wie bereits das Arbeitsgericht fest, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung fristlos mit deren Zugang aufgelöst wurde.

Fazit und Praxishinweis:

Arbeitnehmer sollten sich davor hüten, dem Arbeitgeber mit dem „krank werden“ zu drohen. Selbst wenn sie dann tatsächlich krank werden oder die ausgesprochene Weisung des Arbeitgebers unwirksam ist, haben sie nach der Entscheidung der Rechtsprechung eine erhebliche Pflichtverletzung begangen. In jedem Fall ist der Eindruck zu vermeiden, der Arbeitnehmer wolle sich durch „Drohung“ einen unberechtigten Vorteil verschaffen, denn dies verletzt nach der Rechtsprechung die aus der Rücksichtnahmepflicht folgende Leistungstreuepflicht erheblich. Um einen wichtigen Grund für eine fristlose Kündigung (§ 626 Abs. 1 BGB) zu vermeiden, sollten Arbeitnehmer daher entweder unter Vorbehalt der Weisung folgen oder die Weisung arbeitsgerichtlich überprüfen lassen.

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